Die Dynamik meines Schweinehundes
Veränderung beginnt am Ende der Komfortzone – nämlich mitten in der Wildnis.
Alexandra Kleeberg
HERZLICH WILLKOMMEN IN EINEM GESUNDEN ERFÜLLTEN GLÜCKLICHEN LEBEN!
Huch, was sehe ich denn da? Wer liegt denn da neben dir? Ist er an dich gekettet oder du an ihn? Jetzt, gerade jetzt, schaut er kurz auf, ich erahne ein kleines, miniwinziges Funkeln in seinem dämmerigen Blick und schon ist er wieder eingedöst. Sieht aus wie ein Hund oder auch wie ein Schwein und dann wieder mehr wie ein Fabelwesen aus dem Urgrund der Hölle. „Ja, wen meinst du denn?“, fragst du ungehalten. „Naja, den Schweinehund da neben dir.“ „Ach so, das ist mein Freund, der passt auf mich auf…“ „Wie, dem gehorchst du immer?“ „Ja, manchmal ist es so schwer, so zäh, zu mühsam, da bleib ich doch lieber beim Altvertrauten…, ich habe einfach keine Kraft, mich zu begeistern…, ich bleib lieber im Bett, im Haus, in meinem Schneckenhaus… Ich bin auch ganz fürsorglich – ich pflege meine Depression. “ Du kannst diese Entschuldigungs-Rechtfertigungsliste dir unendlich lang ausmalen.
1. Woher kommt eigentlich der Begriff Schweinehund?
Die Bezeichnung innerer Schweinehund umschreibt oftmals eine scheinbare Willensschwäche, die uns daran hindert, unangenehme Tätigkeiten auszuführen, die von außen oder von uns selbst gefordert werden.
Der Wortbestandteil Schweinehund ist schon im 19. Jahrhunderts als grobes Schimpfwort bekannt und geht auf den zur Wildschwein-Jagd eingesetzten Sauhund zurück. Dessen Aufgaben wie Hetzen, Ermüden und Festhalten wurden auf die Charaktereigenschaften bissiger Menschen übertragen. Im Nationalsozialismus wurde das Wort als Verunglimpfung für die niederen Aspekte des Menschen und deren Dummheit verwandt.
Unser moderner Schweinehund hat einen Bedeutungswandel erlebt. Er ist nicht mehr bissig, hat auch keine niederen Motive mehr, sondern er ist einfach schlapp, faul, null Bock – er hat sich eingelullt in scheinbare Bequemlichkeit. Oftmals blockiert er uns, für uns wichtige Entwicklungen zu unternehmen.
Das Wort Schweinehund existiert interessanterweise nur im Deutschen und kann nicht wörtlich in andere Sprachen übertragen werden. Im Deutschen wird Disziplin hoch gewertet und der Umgang mit dem Schweinehund geht dann auch häufig über die sogenannte Selbstdisziplin. Freudianisch gesehen ist der Schweinehund vermutlich die Kapitulation eines völlig erlahmtes ES vor einem machtvollen ÜBERICH.
In der Volksmeinung und auch in der Motivationsliteratur ist die Rede davon, den Schweinehund auszutricksen, ihn zu bekämpfen, ihn zu überwinden. Im Mittelpunkt steht die Forderung nach Selbstdisziplin. Die besteht nicht nur im sich zusammenreißen, sondern kann auch lustvoller geschehen, indem wir dem inneren Schweinehund eine Wurst vor die Nase halten, damit er in Bewegung kommt. Doch auch diese Strategie ist dann diszipliniert durchzuführen.
2. Psychologischer Hintergrund oder wo ein Wille ist sollte kein Sofa sein
Nach der Theorie von Sigmund Freud ist der Schweinehund vermutlich ein Teil des ES, das von einem überstarken ÜBERICH drangsaliert wird.
In unseren Entscheidungen funktioniert unser Gehirn wie ein Parlament. Da gibt es unterschiedliche Expert*innen für unsere Entscheidungen. Eine Partei ist für kurzfristige Befriedigung, die andere für langfristigen Genuss. Eine Partei orientiert sich an vergangenen Erfahrungen, die andere kann visionär in die Zukunft ahnen. Eine schaut nicht rechts und links, die andere versucht, den Überblick zu bekommen. Die eine achtet auf das, was die Leute sagen, die andere spürt in den Körper hinein. Die eine hat besondere Vorstellungen und Erwartungen, die andere will sich nicht festlegen. Du kennst das vielleicht.
Im Wesentlichen aber geht es beim Schweinehund um die Partei für kurzfristige Befriedigung und die für langfristige Erfolge. Die eine will jetzt, die andere betreibt Für- und Vorsorge. Und, was meinst du, wo sitzt dein innerer Schweinehund – ja, natürlich auf dem Sofa, dort wo kurzfristig angenehm erscheint
Neuropsychologisch gesehen steckt der Schweinehund in unseren Impulsen, die wir nicht in Selbstfürsorge steuern können: Ich will alles, ich will alles und zwar sofort.
Unterschätze bitte nicht die Kraft und Macht deines Schweinehundes.
Der Schweinehund hilft dir, genau jetzt Glücksgefühle zu produzieren und Schmerz zu verhindern.
Wenn du als KInd traumatisiert, bestimmt, entwertet wurdest, ja, wenn dir der Wille genommen wurde, dann kann dein Schweinehund im Erwachsenenalter recht aktiv, nein, eigentlich inaktiv sein.
Die Prägungen in der Vergangenheit und die Angst vor der Zukunft überschreiben die Möglichkeiten der Gegenwart und verbauen den Blick auf eine glückliche erfüllte Zukunft.
Verhaltenstherapeutisch ginge es darum, sich den Schweinehund langsam aber sicher abzutrainieren. Dies geschieht beispielsweise mit Belohnungen – du kannst ihm sozusagen eine Wurst vor die Nase halten und ihn dann zur Bewegung bringen – oder auch mit unterschiedlichen Feedback Systemen, so dass du ihn früh genug erkennst und ihn somit bekämpfen, austricksen oder überwältigen kannst. Dies tust du mit Disziplin, denn der Schweinehund ist clever – sobald du davon abweichst sitzt er schon wieder auf dem Sofa und döst.
3. Die Dynamik rund um deinen Schweinehund
Nun ist Selbstdisziplin ein Wort, das nicht gerade glücklich macht – häufig fühlt es sich im Körper eng, streng, ungut an. In meinen Gruppen habe ich das Wort Disziplin gestrichen und spreche lieber von Selbstfürsorge oder auch Selbstliebe. Im Englischen gibt es das wundervolle Wort commitment, das nicht wirklich übersetzt werden kann. Es meint so viel wie ein Versprechen an mich selbst oder an eine Idee – dranzubleiben, weil dieses Ich oder auch dieses Selbst oder die Idee größer und wichtiger ist als alles andere.
Einen Ausweg aus dem Dilemma bietet die Achtsamkeitsforschung, die in die Macht des Hier und jetzt führt, den Moment zu genießen jenseits von Sucht und Befriedigung indem wir ihn mit allen Sinnen erfahren. Dazu müssen wir das Karussell der Vergangenheit anhalten, aussteigen und das Jetzt erleben frei von behindernden Vorstellungen.
Die andere Möglichkeit ist, die große Macht des Schweinehundes zu nutzen als ein großes Nein zu dem was war. Ja, er ist verkörperte Rebellion – jene Rebellion, die damals nicht ausgetragen werden durfte und verdrängt wurde.
Ehrlich gesagt, für mich ist der Schweinehund etwas ganz anderes. Er ist geballte Energie. Ja, er ist die Energie, die uns oft fehlt. Er ist die Reserve, die wir benötigen, um uns zu verändern. Er ist die Motivation für Glück und Gesundheit. Er ist der Schutz vor Fremdbestimmung und Entfremdung. Der Schweinehund ist unsere ureigene gedrillte Wildheit, unsere eingeschränkte Freiheit, unsere gezähmten Emotionen, unsere automatisierten Gedanken, unser traumatisiertes Ich. Eigentlich ist er wild und stark, frei und quicklebendig – doch wir haben ihn gemästet, ihn eingesperrt in Käfige, ihn sediert auf flauschigen Sofas. Mit ihm sind auch wir bequem, eng, dick und faul geworden.
Hier habe ich dir eine Tabelle angelegt, in der du die Macht des Schweinehundes erforschen kannst. Schreibe in die linke Spalte die Forderungen deines ÜBERICHS (das repräsentiert in diesem Fall all die Parteien in deinem Gehirn, die eine sofortige Handlung von dir erwarten). Daneben schreibe die Antwort deines Schweinehundes und dann seine Bedürfnisse. So bekommst du einen ersten guten Einblick in seine Dynamik. Wenn du jetzt seine Bedürfnisse ernst nehmen willst, dann schreibe in die rechte Zeile, was die nächsten Schritte sind.